Wandersterne von Samuel Hunter und Julie Paucker

Premier 2021 in der Vagantenbühne, Berlin, Deutschland

"Die Kinder sind weg!" schallt es von Straße zu Straße im Shtetl in Holeneschti. Des armen Chasen (jidd. für Kantor) Tochter Reizl und des reichen Benje Rafalowitsch Sohn Leibl – sind weg, verschwunden. Weg ist auch das jiddische Wandertheater, an das die beiden jungen Menschen ihr Herz verloren haben. Und in dem sie ihr Herz aneinander verloren haben. In Scholem Alejchems Geschichte hat die erste Begegnung mit dem Theater so erschütternde Dimensionen wie die Begegnung mit der ersten Liebe. Sie öffnet das Tor zum "Anderen" – zur Fantasie, zu ungeahnten Möglichkeiten, zur Welt. Mit herzerwärmendem, bisweilen bösartigem Humor erzählt Alejchem eine Geschichte, die alles beinhaltet: Den Weg aus der Provinz in die Stadt, aus der Heimat in die Ferne, aus dem "Alten Europa" in die "Neue Welt", vom unbeschriebenen Blatt zum gefeierten Star. Von Holeneschti irgendwo am Schwarzen Meer treibt es Reizl und Leibl auf getrennten Wegen durch ganz Europa und von einer Bühne zur nächsten – ob sie sich am Ende wiederfinden?

In der Adaption des jüdischen Autorenteams Sam Hunter und Julie Paucker hat sich eine unkonventionelle, politisch engagierte, Rikscha fahrende Strassentheatertruppe von heute vorgenommen, die ausufernde, schnörklige, sehr jüdische und jiddische Geschichte dem Berliner Publikum nahezubringen: Mit all den politisch inkorrekten Fallgruben, die das beinhaltet. Der Roman – nur teilweise ins Deutsche übersetzt – ist eine Entdeckung des amerikanisch-deutschen Regisseurs Brian Bell für das deutschsprachige Theater und kommt gerade recht in einer Zeit, in der Theater sich neu erfinden – und öfter mal raus muss.

„Man erahnt die unzähligen Verästelungen, mit denen Alejchem seine Erzählung typisch jiddisch ausgeschmückt hat, immer noch. Denn die grandiosen Schauspieler, die alle in Mehrfach-Rollen zu erleben sind, zanken sich virtuos durch den inhaltlich gewundenen Stoff.“

— Ulrike Borowczyk, Berliner Morgenpost

“Gleich zu Anfang wirkt Wandersterne gekonnt improvisiert, wenn die Figuren eingangs darüber diskutieren, wie jüdische Themen heutzutage in Berlin aufgegriffen werden können. Müssen Erzählungen eigentlich bei der Thematisierung von jüdischem Leben auch stets über den Holocaust oder Israel sprechen?”

— Ansgar Skoda, Kultura Extra

“Wie unfassbar sympathisch die vier allesamt noch recht jungen Schauspielerinnen und Schauspieler uns Zuschauende an die Hand nehmen! Den ganzen Roman zu verstehen: Das sei doch gar nicht möglich - und auch gar nicht wichtig! Es geht um Liebe, um Reisen, um reisende Theaterleute. Um Träume und Hoffnung und all das. Was vielleicht abgedroschen und bemüht klingt, entpuppt sich als hochwirksamer, virtuoser, ja beglückender Abend. Johanna Falckner, Maximilian Gehrlinger, Sarah Maria Sander und Jan Viethen fackeln ein Feuerwerk des Kammertheaters ab.”

— Arno Lucker, Kultur Volk

Credits

DIRECTION Brian Bell

DRAMATURGY Julie Paucker

SCENIC/COSTUME DESIGN Daniel Unger

CAST Johanna Falckner, Maximilian Gehrlinger, Sarah Maria Sanfer, Jan Viethen